Gemeinsam durch die Corona-Krise

Dr. Nikolaus Barth ist für die Wohngruppe im Haus Trialog der Prof. Dr. Eggers-Stiftung zuständig. Die Stiftung hat den Betreuten in der aktuellen Zeit viel Halt gegeben.

Wenn sich der Alltag massiv verändert, wie wir es im Lockdown erlebt haben, kann dies zu Stress und zur negativen Stimulation führen. Solche Gefühle haben viele Menschen in dieser Zeit erfahren.

Seit mehr als 17 Jahren ist Dr. Nikolaus Barth für die Wohngruppe im Haus Trialog der Prof. Dr. Eggers-Stiftung psychiatrisch und beratend zuständig. Alle 14 Tage ist er bei den Bewohnern vor Ort. Zum Ende des Jahres wechselt der leitende Oberarzt des LVR-Klinikums als Chefarzt an eine Klinik nach Dortmund. Der Stiftung bleibt Dr. Barth trotzdem weiterhin eng verbunden. Gerade in der schwierigen Corona-Zeit konnte der erfahrene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut den jungen Menschen helfen.

Herr Dr. Barth, können Sie uns schildern, wie die Jugendlichen der Prof. Dr. Eggers-Stiftung das zweite Corona-Jahr erlebt haben?

Natürlich ist die aktuelle Situation für alle eine sehr besondere. Die Jugendlichen der Prof. Dr. Eggers-Stiftung sind bisher aber zum Glück gut durch die Pandemie gekommen. In der Stiftung gibt es einen sehr guten Beratungsschlüssel, sodass die Betreuer viel auffangen konnten und die Betroffenen nie mit ihren Sorgen oder Ängsten alleine waren. Auch nachts war und ist niemand allein.

Warum ist so eine Situation (Lockdown / keine Besuche) für Menschen mit psychischen Erkrankungen besonders schwierig?

Wenn sich der Alltag massiv verändert, wie wir es im Lockdown erlebt haben, kann dies zu Stress und zur negativen Stimulation führen. Solche Gefühle haben viele Menschen in dieser Zeit erfahren. Die Betreuten der Prof. Dr. Eggers-Stiftung haben den Lockdown, den Umständen entsprechend, gut überstanden. Die Jugendlichen befinden sich in einer in sich gefassten Einrichtung, die zudem gut organisiert ist, das gibt ihnen Halt.

Wie wichtig ist der Halt durch Familie und Freunde?

Sehr wichtig. Wir sind soziale Wesen und brauchen unser vertrautes Umfeld und den direkten Austausch mit Freunden und der Familie. Gerade die Prof. Dr. Eggers-Stiftung bindet im trialogischen Konzept die Familie engagiert ein. Dies war auch im Lockdown möglich. Wer wollte, hat seine Familie außerhalb der Einrichtung unter den Corona-Vorgaben getroffen.

Wie konnten Sie und die Therapeuten in der Stiftung helfen und unterstützen?

Wichtig ist, dass der persönliche Kontakt immer da war und die Jugendlichen trotzdem einen strukturierten Tag hatten. Zwar sind Freizeitaktivitäten wie Fußballtraining ausgefallen, die Mitarbeiter haben aber trotzdem mit den Jugendlichen etwas unternommen, sind mit ihnen zu zweit im Park spazieren gegangen. Außerdem haben Videokonferenzen mit Therapeuten stattgefunden. Ich selbst habe vor Ort mit den Jugendlichen durch das offene Fenster kommuniziert oder telefonisch beraten. Wir alle haben nach kreativen Lösungen gesucht, um für die jungen Menschen da zu sein.

Dies hat die Jugendlichen bestimmt auch noch mal aufgefangen, oder?

Positive Stimulationen wie ein Treffen mit Freunden, der Familie, ein Kinobesuch und so weiter sind generell wichtig. Bei den Bewohnern der Stiftung handelt es sich ja um junge Erwachsene, die sich in einer Abkopplungsphase befinden. Ein enger täglicher Kontakt zu den Eltern ist nicht üblich. Deshalb ist die Situation hier noch mal eine andere als bei jüngeren erkrankten Kindern. Die Kombination aus einem intensiv geschützten Raum innerhalb der Stiftung und die Möglichkeit, Familie zu sehen, haben sie aber sicherlich gut auffangen können.

Durch die Corona-Pandemie haben psychische Probleme generell stark zu genommen. Wie haben Sie die Zeit als leitender Oberarzt am LVR-Klinikum wahrgenommen?

Wir hatten einen enormen Zuwachs an meist jungen Mädchen, die mit Essstörungen zu uns gekommen sind. In der Zeit hat sich die Belegung auf der Station mit 15 bis 18 Schülerinnen verdoppelt. Essstörungen sind stark von der äußeren Struktur abhängig. Wenn der Alltag wegfällt, verschlechtert sich die Symptomatik. Auch depressive Störungen haben stark zugenommen. Es gab in unserer Klinik sonst aber keine nennenswerte Überbelegung.

Wie ist die Situation jetzt, bietet die Impfung den Betroffenen eine Perspektive? Wie ist die Stimmung unter den jungen Menschen?

Der Impfschutz, niedrige Inzidenzen und somit wieder Öffnungen von Restaurants, Cafés, Sportangeboten und vielem mehr sind wichtige Schritte zurück zur Normalität und werden natürlich auch von den jungen Menschen als entlastend und positiv empfunden.

Wie sehen Sie die Zukunft, müsste in der Gesellschaft noch mehr für Menschen mit psychischen Erkrankungen getan werden?Was würden Sie sich wünschen?

Wir müssen in der Gesellschaft weiter im Sinne einer Anti-Stigma-Bewegung arbeiten. Die Gesellschaft sollte offen mit psychischen Erkrankungen umgehen und das Stigma der „Verrücktheit“ endlich abgelegen. Es kann jeden treffen, dass sollte man sich bewusst machen.

Sind Sie mit den bisherigen Betreuungsangeboten für Betroffene zufrieden oder fehlt es an Einrichtungen?

Ich würde mir wünschen, dass weitere ambulante Hilfsangebote bei den Betroffenen direkt vor Ort ausgebaut werden. Diese Angebote werden aktuell unter den Begriffen stationsäquivalente psychiatrische Behandlung oder auch Home Treatment, jeweils an unterschiedlichen Stationen in der psychiatrischen Versorgung durchgeführt.

Was meinen Sie genau damit?

Die Betreuung wird durch ein Team von Therapeuten vor Ort, also bei den Betroffenen zu Hause durchgeführt. Es kommt zum Beispiel dreimal in der Woche ein Team zu den Erkrankten und überwacht die Medikation oder absolviert, beispielsweise bei Essstörungen, vor Ort ein Esstraining mit ihnen. Die Kinder und Jugendlichen bleiben in ihrer vertrauten Umgebung, bei ihren Eltern und Geschwistern, erhalten aber trotzdem Hilfe. Die Kosten werden mittlerweile auch von den Krankenkassen übernommen. Ich finde, das ist eine gute Alternative zur stationären Behandlung.